Diagnose der ALD
Klinische Diagnose
Die Diagnose ALD sollte bei vier verschiedenen klinischen Konstellationen in Betracht gezogen werden:
- Knaben mit den Erscheinungen eines Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms (ADS), bei denen zusätzlich Zeichen bestehen von Demenz, zunehmenden Verhaltensstörungen, abnehmender Sehkraft, Schwierigkeiten beim Verständnis von Sprache, Verschlechterung der Handschrift, Koordinationsstörungen oder anderen neurologischen Auffälligkeiten.
- Junge oder mittelalte Männer mit zunehmenden Gangstörungen, Versteifungen oder Schwäche der Beine, Störungen der Schließmuskel- und der Sexualfunktion, mit oder ohne Nebennierenversagen oder Defiziten bei Intelligenz oder Verhalten.
- Alle männlichen Personen mit primärem Nebennierenrindenversagen, mit oder ohne Anzeichen neurologische Störungen.
- Mittelalte oder ältere Frauen mit fortschreitender Beinlähmung (Paraparese), Störungen der Schließmuskelkontrolle und Gefühlsstörungen hauptsächlich in den Beinen. Bei einer Frau ohne entsprechende Familienvorgeschichte kann die Diagnose einer ALD schwierig sein. Hier beruht die Diagnose auf klinischen Erscheinungen, am häufigsten einer fortschreitenden spastischen Paraparese in Verbindung mit verschiedenen Labortests.
Bildgebende Verfahren
MRT-Bilder des Gehirns sind beim männlichen Personen mit neurologischen Symptomen immer abnorm und stellen oft den ersten diagnostischen Hinweis dar. In etwa 85% der betroffenen Individuen zeigt das MRT ein charakteristisches Muster mit symmetrischer Verstärkung des T2-Signals in den parieio-okzipitalen Regionen des Gehirns und Kontrastverstärkung am fortschreitenden Rand der Läsionen.
Bei Personen, die hinsichtlich einer Mutation des ABCD1-Gens heterozygot sind, ist das MRT-Bild des Gehirns in weniger als 10% der Fälle abnorm.
Sehr Langkettige Fettsäuren (Very long-chain fatty acids, VLCFA)
Männliche Personen: wichtigster Labortests ist die Bestimmung der Konzentration der sehr langkettigen Fettsäuren (VLCFA) im Blutplasma. Die Spiegel der VLCFA sind bei 99,9% männlicher Personen mit X-ALD aller Altersstufen erhöht, ohne Rücksicht auf Vorhandensein oder Fehlen klinischer Symptome. Die drei untersuchten Testparameter sind: die Konzentration der Fettsäure C26:0, das Verhältnis C24:0/C22:0 und das Verhältnis C26:0/C22:0. Die Tab. 1 zeigt die mittleren Ergebnisse bei Normalpersonen, betroffenen männlichen Personen und weiblichen Überträgern [Valianpour et al., 2003].
Die Bestimmung der VLCFA ist sehr anspruchsvoll und wird daher auf der ganzen Welt nur in wenigen Laboratorien durchgeführt.
Normalpersonen | Männliche Personen mit X-ALD | Überträgerinnen | |
C26:0 µmol/L | 0.67 +/- 0.13 | 2.94 +/- 0.87 | 1.54 +/- 0.72 |
C24:0/C22:0 ratio | 0.86 +/- 0.13 | 1.52 +/- 0.21 | 1.18 +/- 0.15 |
C26:0/C22:0 ratio | 0.01 +/- 0.003 | 0.05 +/- 0.02 | 0.02 +/- 0.01 |
Tabell 1: Konzentrationen der VLCFA im Blut von Normalpersonen und X-ALD-Patienten, Bestimmung mittels Electrospray-Ionisationsmassenspektrometrie (ESI-MS) (Valianpour et al., 2003). |
Wichtiger Kommentar von Dr. Ann Moser: Lorenzos Öl, eine Mischung von Erucasäure und Ölsäure, wird therapeutisch verwendet um die Spiegel der VLCFA in Blut zu normalisieren. Bei der Messung der VLCFA im Blutplasma berichtet das Labor für peroxisomale Krankheiten am Kennedy Krieger Institute in Baltimore routinemäßig auch über die Spiegel der Erucasäure (C22:1). Gewisse beim Kochen verwendete Öle, z.B. Senfsaatöl, haben natürlicherweise einen hohen Gehalt von Erucasäure und können im Blut zu einer Erhöhung führen, die ähnlich ist wie diejenige unter einer Therapie mit Lorenzos Öl.
Weibliche Personen: Erhöhte Konzentrationen von VLCFA im Plasma und/oder kultivierten Hautfibroblasten finden sich in etwa 85% weiblicher Personen; 15% nachgewiesener Überträgerinnen haben normale Plasmaspiegel der VLCFA. Durchschnittliche Ergebnisse der Bestimmung der VLCFA bei obligaten Heterozygoten enthält die Tabelle 1. Mit einer veröffentlichten Diskriminanzfunktion Moser AB et al (1999) ist es nicht möglich, alle Überträgerinnen vom Bereich der Kontrollpersonen abzugrenzen, siehe Abbildung. Frauen sollten genetisch getestet werden, wenn eine ALD vermutet wird und die Spiegel der VLCFA normal sind.
Mutationsanalyse (Molekulargenetik)
Das ABCD1-Gen ist das einzige Gen von Bedeutung bei der ALD. Mehr als 500 verschiedene Mutationen sind im ABCD1-Gen identifiziert worden [Kemp et al 2001]. Die meisten ALD-Stammbäume haben eine jeweils einzigartige Mutation. Ein Katalog der bekannten ABCD1-Gene findet sich auf dieser Website.
Boehm und Mitarbeiter haben einen zuverlässigen diagnostischen DNA-Test für ALD entwickelt und validiert auf der Basis einer „non-nested genomic amplification“, gefolgt von einer Sequenzanalyse unter Verwendung von Fluoreszenzfarben-Primern. Die Methode deckt alle kodierendem Exone und benachbarten Intron-Exon-Abschnitte in 10 getrennten Ampliconen ab [Boehm et al., 1999]. Diese Arbeitsvorschrift erlaubt die hoch zuverlässige Bestimmung des Überträgerstatus von Frauen mit einem Risiko, die ALD weiterzugeben und ist in einem klinisch-diagnostischen Labor anwendbar. Diese Methode ist inzwischen die sequenzbasierte Analyse der Wahl in vielen Labors weltweit.
Identifizierung von Überträgerinnen
Die Untersuchung einer weiblichen Person mit dem Risiko für den Überträgerstatus verläuft in zwei Schritten. Zuerst werden die sehr langkettigen Fettsäuren (VLCFA) bestimmt; wenn sie erhöht sind, handelt es sich um eine Überträgerin. Da aber 15% der Überträgerinnen normale VLCFA-Plasmaspiegel der haben, muss bei weiblichen Personen mit normalen VLCFA-Plasmaspiegeln aus Familien, in denen eine krankheitsverursachende Mutation des ABCD1-Gens identifiziert wurde, eine molekulargenetische Analyse durchgeführt werden. In einem Labor konnten bei 97% von obligaten Überträgerinnen die Mutationen vollständig identifiziert werden (n=29).
Erweiterte Familienuntersuchungen
Je nach Geschlecht, Verwandtschaftsbeziehung und Überträgerstatus der Eltern des Probanden können Onkel, Tanten und deren Kinder ein Risiko dafür haben, Überträger der Krankheit oder selbst davon betroffen zu sein.
Die Untersuchung von Familienmitgliedern mit einem solchen Risiko ist wichtig für die Betreuung und genetische Beratung, wird aber oft in ungenügender Weise durchgeführt. Mehrere Faktoren können hierfür verantwortlich sein:
- Die Feststellung der Diagnose bei einer betroffenen Person mit schwerer Behinderung kann für die Familie ein niederschmetterndes Ereignisse sein.
- Die molekulargenetische Analyse für klinische Zwecke steht noch nicht lange zur Verfügung und mag nicht überall bekannt sein.
- Krankenversicherungen können die Untersuchung eines Familienmitglieds mit Risiko ablehnen.
- Familienmitglieder mit einem Risiko lehnen die Untersuchung ab aus Furcht, bei positivem Ergebnis die Fähigkeit zu verlieren, eine Krankenversicherung zu bekommen oder zu behalten.
- Jemand weiß nicht genau, wer in der Familie ein Risiko haben könnte und scheut sich, bestimmte Familienmitglieder über das Risiko zu informieren.
Pränatale Untersuchung
Eine pränatale Untersuchung ist möglich bei Schwangerschaften von Überträgerinnen, bei denen das Risiko für einen von der Krankheit betroffenen Knaben 25% beträgt (oder 50%, wenn das männliche Geschlecht des Fetus bekannt ist). Üblicherweise wird zuerst das Geschlecht bestimmt durch Karyotypisierung fetaler Zellen, die aus Chorionzotten in etwa der 10.-12. Schwangerschaftswoche gewonnen werden (die Schwangerschaftsdauer bestimmt sich in Wochen nach dem ersten Tag der letzten Regelblutung oder durch Ultraschallmessungen). Fetale Zellen können auch in der 16.-18. Schwangerschaftswoche mittels Amniozentese aus Fruchtwasser gewonnen werden. Wenn der Karyotyp 46,XY (männlich) ist und die krankheitsverursachende Mutation bei einem Familienmitglied identifiziert wurde, kann DNA aus fetale Zellen auf die bekannte krankheitsverursachende Mutation untersucht werden.
Wenn die Mutationsanalyse nicht möglich ist, können sehr langkettigen Fettsäuren (VLCFA) in gezüchteten Amniozyten oder gezüchteten Zellen aus Chorionzotten (chorionic villus cells, CVC) gemessen werden [Wanders et al 1998, Moser AB et al 1999]. (Bei diesem Verfahren wurde über falsch negative Ergebnisse berichtet, die möglicherweise auf technischen Schwierigkeiten beruhten.)
Proteinanalyse
Das Gen-Produkt des ABCD1-Gens, ALD-Protein oder ALDP, ist mit der Methode der Immunfluoreszenzanalyse bei etwa 70% betroffener Individuen nicht nachweisbar. Aus nicht gut verstandenen Gründen kann das Gen-Produkt sogar bei Individuen mit Missense-Mutationen nicht nachweisbar sein. Wichtigste biochemische Abnormität ist die Akkumulation gesättigter sehr langkettiger Fettsäuren, besonders von Hexakosansäure (C26:0) und Tetrakosansäure (C24:0), als Folge einer verminderten Fähigkeit diese Stoffe abzubauen, was normalerweise in den Peroxisomen stattfindet. ALDP (ALD-Protein) transportiert die VLCFA aus dem Zytosol ins Peroxisom.
Nachweis von ALDP mittels Immunofluoreszenz: in Fibroblasten einer Kontrollperson (links) zeigt die helle punktförmige Färbung die Anwesenheit von ALDP in Peroxisomen an. In der Mitte Fibroblasten eines männlichen Patienten mit ALD und einer Mutation, die die Stabilität von ALDP vermindert. Hier ist keine punktförmige Färbung sichtbar. Rechts Fibroblasten einer ALD-Überträgerin aus derselben Familie wie der männliche Patient. Das ABCD1-Gen liegt auf dem X-Chromosom. Weibliche Personen haben zwei X-Chromosomen, doch ist in jeder Zelle nur eines der X-Chromosomen aktiv. Die Zellen mit punktförmiger Färbung sind solche mit einer aktiven Kopie des normalen ABCD1-Gens, während diejenigen ohne punktförmige Färbung eine aktive Kopie des ABCD1-Gens mit Mutation besitzen.
Bilder von Dr. Merel Ebberink
Last modified | 2019-05-08